Nach 3,5 stündiger Fahrt von Copacabana erreichten wir El Alto, die vorgelagerte Stadt von La Paz. Das rege Treiben auf den Straßen machte ein Durchkommen kaum möglich. Meter für Meter quälte sich unser Bus an den Hang nach La Paz heran. La Paz, die Hauptstadt Boliviens, einem Land ohne einen Mc Donalds. Als wir schließlich die Serpentine abwärts runterfuhren, offenbarte sich uns ein atemberaubender Anblick. Die nahende Dämmerung tauchte die schier unendliche Weite des Häusermeeres, neben den dominierenden Ziegel- und Backsteingebäuden, in einen seichten Rotschimmer. Am Busbahnhof ankommen, hatten wir alsbald auch Curd erreicht, der uns den Treffpunkt durchgab. Per Taxi stürzten wir uns in den Feierabendverkehr der Stadt. Der Fahrer versicherte sich ob unseres Zielortes vorab nochmals, ob wir die Summe von 30 Bolivianos (Umrechnung ca. durch 11) auch wirklich bezahlen konnten… Der Verkehr in La Paz übertraf alle unsere bisherigen Eindrücke. Dieses Schauspiel sollte sich in den kommenden Tagen immer wieder wiederholen. Ebenso wie die Versicherung, dass das so natürlich nicht gewöhnlich sei.
Jacky, Lorena und Curd empfingen uns, wie vereinbart am Treffpunkt. Ein herzliches Hallo, schnell das Gepäck in die Wohnung von Lorena und Mario gebracht, der später auch dazu stieß und ab zum gemeinsamen Abendessen. Das „Dumbo“, das in Aufmachung und Ausstattung an die berühmte Disney-Figur angelehnt ist, war eine bessere Wahl als es der erste Eindruck erahnen ließ. Rückfragen auf Markenrechte Betreff des Restaurants beendete Mario mit dem Verweis: „Im südamerikanischen Sprachgebrauch gibt es kein Wort für Copyright“ ;-)
Tag 2 in La Paz. Nach dem gemeinsamen Frühstück zogen wir bereits früh los Richtung Stadion, um Karten für den bolivianischen „El Clasico“ Bolivar La Paz gegen „The Strongest“, ebenfalls aus La Paz, zu besorgen. Eine landestypisches Mittagessen in einem besseren Hinterhof, in dem Mann das Fleisch an Haken und auf den Tischen bereit zur Bearbeitung präsentierte, wurde in großen Töpfen Fleisch mit riesigen Maiskörnern (in Deutschland eher als Schweinefutter verwendet) gekocht und in allerlei Varianten aufgetischt. Das Ambiente wurde dem Geschmack allerdings auch hier nicht gerecht: lecker war´s! Pünktlich eine Stunde vor Spielbeginn trafen wir uns wieder am Stadion. Im Gepäck hatten wir eine befreundete Sektion aus Regensburg, mit denen wir uns zum Spiel verabredet hatten. Für umgerechnet ca. 7€ nahmen wir auf der Haupttribüne –mit freier Platzwahl- unsere Wahlsitze im Reihe 1, Oberrang, ein .
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Fankurve "Bolivar" |
Beste Sicht auf den, mit großem Feuerwerk aus beiden Kurven untermalten, Einlauf beider Mannschaften. In der Kurve von „The Strongest“ wurde zudem eine riesige, die ganze Kurve bedeckende, schwarz-gelbe Überrollfahne präsentiert. Über drei Tribünen hallte es „BO-LI-VAR!! Viva Bolivar!!“. Schwarzgelb entgegnete laute „Tigre“-Anfeuerungsrufe, welche aber durch die umgehend zurückhallenden „Culo“- („Arsch“) Schmähungen der blauweißen Bolivar-Anhänger gekontert wurde.
Das Spiel war einmal mehr nicht von hohem Niveau. Viele Spieler zeigten sich im Umgang und Flugeinschätzung des Spielgerätes, eher ungeschickt, was aber zum einen den Spaßfaktor unserseits erhöhte und daraus auch so manches Tor schließlich resultierte. Das Geschehen abseits sollte auch diesmal das eigentliche Highlight sein. Nach früher Führung für Bolivar tobte der gegnerische Co-Trainer so heftig an der Seitenlinie, dass er auf die Tribüne verwiesen wurde. Doch damit nicht genug: Als bereits alle mit dem Pausenpfiff rechneten, gab der Schiedsrichter Handelfmeter für die Heimelf, welche diesen zum 2: 0 verwandelten. Mit Beendigung der ersten Hälfte strömten sämtliche Reporter das Feld um von den vermeintlich benachteiligten sogleich emotionsgeladene Stellungnahmen zu erhalten. Dies toppte gegen Ende der 2. Hälfte nur noch der wahre Übungsleiter von „The Strongest“, als er nach sehenswertem Seitfallzieher zum 3:1 für Bolivar, dermaßen ausrastete, dass sechs (!) Polizisten ihn mit Schild und Knüppel in den Kabinentrakt bringen mussten. „Deckel drauf und gut ist“, dachte sich der Ordnungsdienst, der daraufhin die dafür vorgesehene Werbetafel über die Ausgangstreppe schieben wollte. Da hatten sie die Rechnung ohne den gegnerischen Trainer gemacht, der auf den abgehenden Stufen verharrte und mit seinem Körper verhinderte, dass der Werbeschriftzug „Coca“ und „Cola“ die Öffnung verschloss. Da er das Spiel auch so weiterverfolgen wollte, beschimpfte er die Polizisten gefälligst die Sicht freizugeben. Stattdessen bugsierten sie ihn durch einen weiteren Eingriff schließlich in den Kabinentrakt. Wer dachte damit sei das Schauspiel beendet täuschte sich: An einem der Zugänge, rechts von unseren Haupttribünenplätzen, tauchte er plötzlich wieder auf und wollte das Tor zur Tartanbahn überqueren. Man stelle sich vor wie in Deutschland ein Jupp Heynckes, Felix Magath oder Jürgen Klopp ein solches Schauspiel veranstalten würden..Bis zum Abpfiff war der Innenraum bereits mit vielen Menschen gefüllt, die zum Teil minutenlang an oder besser gesagt auf der Außenlinie auf den Abpfiff warteten. Akkreditierungen für den Innenraum kennt hier wohl ebenso wenig jemand. Als der Schiedsrichter schließlich ein letztes Mal in seine Pfiff blies, stürmte ein ganzer Pulk Menschen den Platz. Das Schiedsrichtergespann wurde am Mittelkreis von der Polizei in Empfang genommen und gemäß altrömischer Schutzformation rundherum durch 17 Polizeischilder beim Verlassen geschlossen abgedeckt.
Marios Team hatte verdient mit 3:1 gewonnen und wir verließen hochamüsiert das Stadion vor dem wir einen weiteren Ausflug in die südamerikanische Delikatessenküche unternahmen: gegrilltes, scharfes Rinderherz vom Straßengrill –que rico!
Die Ereignisse des Abends erschienen unserer Regensburger-/ Stuttgarter-Trinkgemeinschaft im Nachhinein nur noch nebulös. Da die Adresse in meinem Akkuentleerten Handy war, fanden wir den Heimweg nicht mehr und quartierten uns kurzerhand im „Rover Hostel“ der Jungs ein, wo bereits zu viele Schnäpse in uns geflossen waren. Den Weg in die Betten fanden wir allerdings erst über eine weitere Diskothek. Als ich mich dort schließlich erfolglos bis zum Betreiber nach einem Nokia-Ladekabel durchgefragt hatte, traten wir den Rückweg an. Wie ich nachts vom Schlafsaal „W“ in Schlafsaal „K“ kam, dort wie auch immer ein freies Bett fand, morgens allerdings erst mal vergeblich ob der falschen Örtlichkeit meine sieben Sachen suchte, weiß niemand so genau. So löchrig wie mein Erinnerungsvermögen offenbarte sich auch der Geldbestand in unseren Taschen. Doch Mike und Micha halfen hier erst mal aus, so dass wir nach Reaktivierung des Handys endlich auch unsere Gastfamilie über unseren Verbleib informieren konnten.
Da wir durch die morgendlichen Unpässlichkeiten die anvisierte Vormittags-Parade in der Stadt verpassten, stand für heute nur noch der Besuch des „Cholita-Wrestlings“ in El Alto auf dem Programm. Viele Busse diverser Reiseveranstalter auf dem Vorplatz der Halle ließen ein großes Spektakel erahnen. Die Touri-Agenturen hatten die ersten Reihen komplett mit ihren Kontingenten abgedeckt. Die frenetischen Einheimischen nahmen in der kleinen, Wellblechhalle die hinteren Plätze ein. Bei jedem Kampf offenbarte sich aufs Neue der obligatorische Kampf zwischen gut und böse, gespickt mit meist korrupten Ringrichtern und anderen, in Ringgeschehen eingreifenden Personen. Die Kämpfe in allerlei Geschlechtskonstellationen hatten bis auf wenige Ausnahmen hohen Unterhaltungswert. Und wer die Catcher zu sehr provozierte wurde schneller Teil des Spektakels als ihm lieb war.
Zuhauf flogen Kämpfer in oder über die Gitter unserer 1.Reihe, verlagerte sich das Geschehen auf die Ränge oder verteilten Akteure Küsse oder Ohrfeigen ans Publikum. Alles in allem hielt der Abend was er versprach. Cholita-Wrestling war in jedem Fall ein sehenswertes Ereignis.
Die folgenden drei Tage (Montag bis Mittwoch) zogen wir mit und ohne Jacky durch La Paz, wo wir auch den Hexenmarkt kreuzten. Hier bekamen wir auch die Lamaföten zu Gesicht, die hier traditionell ins Fundament eines neuen Hauses eingebaut werden und es vor Unheil bewahren sollen. Die Föten gibt’s in nahezu allen Größen zu kaufen und der Anblick ist mehr als gewöhnungsbedürftig!
In diesen Tagen lernten wir auch Curds (Jackys Lebensgefährten) Familie kennen, tauchten so etwas in die La Pazer Oberschicht ein und erfuhren allerlei über das deutsche Industrievermächtnis in Bolivien. Hierüber berichtete uns besonders Curds Schwager Jorge, wohlsituierter Mienenbesitzer, gerne.
Ansonsten stießen wir in La Paz auf viele uns bereits bekannte, aber immer noch ungewöhnliche Dinge, wie z.B., dass Ladenbetreiber auch beim Zahlen mit kleinen Scheinen stets den Laden verlassen müssen um irgendwo Wechselgeld aufzutreiben. Auch oder vielleicht sogar besonders hier ist der Zustand der meisten Taxen besonders schlecht. Die Motoren laufen sehr unrund, viele Autos haben komplett zerrissene Vorderscheiben und/ oder defekte Spiegel. Ob die allgegenwärtigen Aufschriften, wie „Gott ist mein Führer“ auf den Taxen dies kompensieren ist eher fraglich. Genauso wie der Umstand mit dem ich mich weiterhin kaum anfreunden kann, dass die meisten Mitfahrgelegenheiten keine Sicherheitsgurte haben oder diese ihrer Funktion nicht mehr gerecht werden. In den Tagen von La Paz kam auch noch ein neues Fortbewegungsmittel hinzu: der „Truffy“. Hierbei handelt es sich um Kombi-PKWs, die auf einer vorgegebenen Route verkehren und in die einfach noch eine zusätzliche Sitzbank mehr hinein geschweißt wurde. Egal, wie durch die Stadt kamen wir jederzeit super billig.
Die Straßenzüge von La Paz lehnen sich zum Teil spektakulär an die steilen, steinigen Felswände, die auch inmitten der Stadt stellenweise emporragen. Die surrealen Steingebilde findet man auch etwas vor den Toren der Stadt, wo das „Moon-Valley“ eine wahrlich Mondähnliche Landschaft hingezaubert hat, die wir ebenfalls in diesen Tagen besuchten.
Für den Donnerstag hatten wir uns zur Fahrradtagestour angemeldet. Doch nicht irgendeine Strecke wartete auf uns, sondern die Legendenumwobene „Deathroad –die gefährlichste Straße der Welt“, wie sie besonders die Tourenanbieter gerne nennen. Tatsächlich soll die enge, mit schwindelerregenden Gefällen ohne Geländer versehene Straße, die sich durch die tropisch bewachsenen Hänge der Yungas zieht bis zur Einweihung der Neuroute 2001 jährlich bis zu 300 Menschen das Leben gekostet haben! Auf der schwerübersehbaren Schotterpiste, die auch von einigen Wasserfällen stellenweise überspült wird, muss es auch Alkoholbedingt fast täglich Unfälle gegeben haben. Auch heute nutzen neben den Tourianbietern noch einige Wagemutige oder Unbelehrbare diese Strecke bevorzugt. Dass auch die Nutzung per Fahrrad nicht ohne ist belegen allein 19 verunglückte Radfahrer seit 2001! Doch nicht mal der traditionelle Radfahrer-Regen (4x in SA auf dem Rad, 4x mal patschnass!) wurde uns gefährlich, so dass wir auf der etwa 4-stündigen Abfahrt stets vorne dabei waren und großen Spaß hatten! Im Übrigen konnte ja auch nichts schief gehen, hatten wir uns vorher dem strengen Ritual der Bolivianer unterzogen: Ein paar Tropfen 96%-Schnaps an Mutter Erde, ein paar Tropfen auf die Fahrradreifen und ein paar Tropfen in den Mund. Vom Adrenalin noch nicht genug, zogen wir die erneute Abfahrt an einer Zip-Line (diesmal in bis zu 300m über dem Boden!) dem vermeintlichen Relaxen im von Affen mit Kot besudelten Pool (wie sich vor Ort rausstellte…) vor.
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"Kann es endlich losgehen?" |
Der Freitag spendete mir in Form eines Druckers und seines Besitzer erst einmal Freude der besonderen Art. Da ich einige Lernunterlagen ausdrucken musste, durften wir volle 1,5 stunden warten bis das Gerät die 86 Seiten bewältigt hatte. Der Zustand des Dösens war alsbald vorbei, als mir klar wurde warum der Besitzer immer wieder mal gedruckte Exemplare aus dem Drucker abgetragen hatte. Er hatte nicht verstanden, dass ich lediglich die ca. Extrakopien noch dazu wollte, die ich mit seinem Kollegen bereits nebenher erledigt hatte. Nein, er war in der Annahme, dass ich die 86 Seiten noch 20x kopiert haben wollte! Ich staunte also nicht schlecht, als an der Kasse bereits Berge von Papier auf mich warteten! Und dabei hatte Mario ihm vorher noch alles erklärt…
Den Rest des Tages nutzten wir um unseren Klamotten-Bestand etwas zu erneuern. Preise, die selbst KIK zu einer preislichen Edelkette verkommen lassen, hellten unsere Mienen immer wieder auf.
Am Abend wollten wir uns standesgemäß bei unseren sechs Gastgebern verabschieden und führten sie in ein schickes Restaurant mit ordentlichen Fleischspezialitäten aus. Der Umstand, dass man acht Personen im gehobenen Restaurant für umgerechnet 60€ papp satt bekommt, erfreute nicht nur die Reisekasse. Wir verbrachten einen schönen Abend zusammen und bedankten uns bei allen für ihre Gastfreundschaft. Nach einem weiteren, unserem vermeintlich letzten Abend am Samstag, mit Mario bei gemütlicher Kneipenatmosphären, mussten wir die Gastfreundschaft jedoch unverhofft noch einen weiteren Tag in Anspruch nehmen, da die Regelfunktionen meines Körpers sich verweigerten und ich mich der Toilette sehr verbunden fühlen durfte. Einmal mehr kam ich den Genuss jeglicher Zuwendung durch unsere Gastgeber, die am Montag sogar soweit ging, dass Jorge uns mit seinem Privatchauffeur nach Cochabamba fahren ließ!
Wir danken Lorena und Mario für die gegebene Unterkunft und alles was sie für uns getan haben! Jacky und Curd für die Organisation, Rundfahrten, Einladungen und Hilfe, wenn Not am Mann war! Lilian und Jorge für die Gastfreundschaft in ihrem Haus, das leckere Essen und die vielen Geschichten! Allen danken wir für 10 tolle Tage in La Paz!
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DANKE fuer eine wunderschoene Zeit in La Paz!
¡Muchas gracias por todo! |